Das Lindner-Historikertandem ist wieder da:
Eine Straße in Piding (b. Bad Reichenhall) ist nach Lena Christ benannt - ein eher seltener Vorgang in Bayern.
Wir beide (Karin & Dr. Wolf Lindner) werden am Freitag, 23.10.09 um 19.30 in Piding, Haus der Vereine, Wisbacher Straße, über Lena Christ informieren.
Die Dialektpassagen der Glonner Bauerntochter werde ich (Wolfgang) als Münchner vorlesen, die Literaturgeschichte ist dann Karins Sache.
Wer war Lena Christ?
- ein lediges Bauernmädchen
- eine bayerische Schriftstellerin von Rang
- Freundin Ludwig Thomas
Die Benennung der Straße hat eine kleine Vorgeschichte: Vor einigen Jahrzehnten beantragten wir SPD-Gemeinderäte (3 Stck.), eine Straße im Neubaugebiet nach Oskar-Maria-Graf zu benennen;
er weilte öfters in unserer Gegend. Unser Vorschlag fand keine Mehrheit, aber als Ersatz bzw. zum Trost wurde uns Lena Christ angeboten (Bürgermeister & Heimatpfleger Max Wieser)- und wir stimmten freudig zu.
Wolfgang Lindner - 15. Okt, 11:44
"Der Hallgraf", ein Ritter- und Heimatschinken der Autorin Anni Jungmann-Wilhelmi - ab 1955 regionaler Bestseller - aktuell als heimatgeschichtliche Quelle genutzt, zu Unrecht:
Der triviale Historienroman strotzt von Geschichtsklitterungen aller Art: dies betrifft die äußere Handlung um den "Hallgrafen" von Plain, den es so nie gegeben hat, aber auch die völlig unmittelalterlichen Lebensumstände.
Z.B. wird die spätgotische Madonna von Großgmain (um 1400) ins späte 11. Jh. zurückversetzt, also als hochromanisch bezeichnet.
Die Verfasserin sieht sich als Seherin - sie beansprucht eine Rolle als Vermittlerin historischen Wissens - allzu viele Leser glauben ihr dies.
In meinem Vortrag (
hier herunterladen) werden historische Fakten mit dem Roman konfrontiert - auch kritische Anmerkungen zur sprachlichen Gestaltung (Stilblüten) habe ich beigefügt.
Wolfgang Lindner - 16. Jan, 11:57
Hier kann man sich über "zwei Menschen" in Bad Reichenhall informieren - über die Geschichte von Bestseller-Autor Richard Voss und Pensionswirtin "Moritz" (eigtl. Mauritia) Mayer:
http://jube.twoday.net/files/Begegnung-in-Reichenhall
Ort der Handlung Reichenhall und Umgebung - Zeitraum: 2. Hälfte des 19. Jh.
Voss hat als nervenkranker Kurgast die attraktive, natürliche, lebenstüchtige Tochter seiner Reichenhaller Pensionswirte kennen und freundschaftlich lieben gelernt.
Später lebten beide als Nachbarn in Berchtesgaden, Moritz hat mit ihrer "Pension Moritz" den Tourismus auf den Obersalzberg gebracht, Mittelpunkt einer prominenten Gesellschaft von Literaten und Künstlern.
Nach dem Tod seiner um 18 Jahre älteren Freundin hat ihr Voss seinen Bestseller "Zwei Menschen" (dreimal verfilmt) gewidmet.
Die Hauptfigur "Judith Platter" stellt die als Naturkind idealisierte
Moritz Mayer dar - "Judith" genannt nach einer Figur in Kellers Roman "Grüner Heinrich".
Link:
Biographie Voß Wikipedia
Wolfgang Lindner - 13. Dez, 12:16
Der Begriff "Heimat" hat wieder Konjunktur (Globalisierung).
Er war im Zuge der Vergangenheitsbewältigung ins Gerede gekommen.Wie soll man mit ihm und ähnlichen Begriffe verfahren, die vom NS geprägt oder neu semantisiert wurden
(z.B."erfassen"-"Urlaub"-"entartet" usw.)
Victor Klemperer war der Ansicht, sie sollten vielleicht "für immer im Massengrab der Geschichte" verschwinden. "Heimat" ist ein Begriff, der im NS mit Rasse, Abstammung, Blut und Boden in Verbindung gebracht wurde. Heimat ist jedoch heute offensichtlich als Gegenwelt zur globalen Beliebigkeit aufgewertet worden. Heimat ist der Ort, wo es einem gut geht - in mancher Hinsicht: materiell, sozial, kulturell, wo der Mensch "zu Hause" ist.
Nicht jede Heimatkultur steht freilich im Kitschverdacht. Literarische Heimatkunst von hohem Rang gibt es: Thoma, Rosegger, Reuter und zahlreiche Vertreter der Gegenwartsliteratur, auch wenn es sich dabei nicht um Dialektdichtung handelt (z.B. Innerhofer).
Mein Vortrag in Reichenhall hat nun einen ehemals prominenten Schriftsteller (u.a. auch Heimatdichter) und seinen Bestseller "Zwei Menschen" ins Visier genommen. Das triviale Genre (Bauernmädchen - Grafensohn) und die fast unerträgliche klischeehafte Rhetorik stellen m.E. ein authentisches "Dokument
des Imaginierten dar. Der Roman dokumentiert auch die These
Radkaus vom "Zeitalter der Nervosität" um die Jahrhundertwende.
Voss selbst stellt sich in seiner Autobiographie als suicidgefährdeten Neurotiker dar (Patient von Krafft-Ebing).
Im Roman selbst treffen daher zwei signifikante Zeitgeister aufeinander...und verfehlen sich. Die Protagonistin, Judith Platter,
vertritt das naturnahe, "gesunde", einfache, tatkräftige, heimatbodenverbundene Leben, der männliche Gegenpart verliert sich in neurotisch-ekstatischer Katholizität, mit der er im Rom Papst Pius IX. (1. Vaticanum) infiziert wird. Beide enden mit Selbstmord.
So betrachtet handelt es sich bei dieser Literatur nicht unbedingt um triviale Unterhaltungsliteratur. Voss wurde zu seiner Zeit vor allem als Theaterschriftsteller zur "hohen" Literatur gerechnet.
Dreimal wurde sein Roman verfilmt, von bedeutenden Regisseuren und Schauspielern. Voss selbst war befreundet mit der großbürgerlichen und adeligen Kulturschickeria des Kaiserreichs. Die meisten seiner vielen Hervorbringungen sind gerade keine Heimatliteratur (viele spielen in Italien).
Es bleibt die Frage nach der mentalitätsgeschichtlichen Orientierung
(Zeitgeist) einer bestimmten Gesellschaftsschicht an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit:
Lebensideologie (Lebensreform) vs. Neurotik.
Wolfgang Lindner - 17. Sep, 16:11