Mittwoch, 3. November 2010

Luise Rinser 100

2011 hat Luise Rinser 100. Geburtstag. Kathol. Bildungswerk Berchtesgadener Land und evang. Bücherei Bad Reichenhall wollen im Oktober 2011 ein Erinnerungsreferat organisieren. Als Referenten hat man Karin & Wolfgang Lindner vorgesehen, also unser Familientandem, bekannt von den Obersalzberg-Führungen.

Auf Grund unserer jeweils recht verschiedenen Persönlichkeitsstruktur könnte ein Dialog-Referat einen gewissen Unterhaltungswert garantieren.

Als Grundmuster könnte man von 3 Lebensschwerpunkten der Rinser ausgehen und ihre Wandlungsfähigkeit dokumentieren: 1. Um 1950 mit Retrospektive auf die 30er Jahre und ihr Verhältnis zum NS. 2. Die 60er mit ihrem Verhältnis zur 68er-Bewegung u. zur RAF. 3. Der letzte Lebensabschnitt mit ihrem (positiven) Verhältnis zu Nordkoreas Diktator.

Dazu findet sich reichlich Tagebuchliteratur; überhaupt gilt es eine schier unübersehbare Menge von Textmaterial zu sichten.Wir, als Zweierteam freuen uns schon auf das Abenteuer der Begegnung mit dieser bedeutenden, aber auch umstrittenen Frauenpersönlichkeit.

Die Antiquariate bieten Rinser quasi zum Nulltarif an. Wir haben bereits einiges an autobiographischer und erzählender Literatur gebunkert. Auch die evang. Bücherei (unser Auftraggeber) hält zahlreiche Werke vor.

Karin hat sich "Mirijam" vorgenommen, ich den "Schwarzen Esel". Sie ist in Sachen Jesus-Erzählung als Protestantin kompetenter als ich Katholik (wenn auch Küng-Leser).

Gestern hat das Ereignis stattgefunden (11.2011). Gelungenes Experiment der Darbietung: Dialogvortrag im "Tandem"! KIarin un d ich haben uns das Referat kleinschrittig aufgeteilt. Kommunikation im Dreieck: Referent 1 - Referent 2 - Publikum. Die zahlreichen Zuhörer meist unserer Generation haben sich sehr gut informiert und unterhalten gefühlt (Rückmeldungen).

Die zweite Aktualität: die seit 2011 bekannt gewordene Manipulation der Verfasserin in ihrer Autobiographie bezüglich ihrer NS-Vergangenheit.

Wir haben Rinsers Version mit der neuerdings bekannten Wirklichkeit verglichen. Die dabei sichtbar gewordenen Fälschungen waren den meisten Zuhörern überraschend neu.

Dennoch haben wir Luise Rinser mildernde Umstände zubilligen müssen:

Sie hatte sich seit 1944 (Verhaftung) ehrlich vom NS distanziert und die "Gnade des Nullpunkts" 1945 zu einem Neubeginn genutzt.

Als Journalistin konnte sie diesen Wandel nur umsetzen (NEUE ZEITUNG), wenn sie ihre Vergangenheit verleugnete.

Sie wurde zur moralischen antifaschistischen Instanz. Aufgrund ihres Ratgeber-Charismas hatte sie eine große Lesergefolgschaft.
Sie engagierte sich mutig (vgl. "wandelmutig") für Pazifismus, Feminismus, Linkskatholizismus. -Weit lehnte sie sich aus dem Fenster und musste dafür ihren Preis bezahlen. Schließlich wurde ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz geadelt.

Spätestens von da an konnte sie sich nicht mehr zu ihrer NS-Vergangenheit bekennen, ohne ihr antifasch. Lebenswerk zu gefährden.

Was man ihr weniger verzeihen kann, ist ihre Weigerung, ihren Sohn Stephan über seine außereheliche Herkunft aufzuklären.
Er hat darunter bis zu seinem frühen Tod sehr gelitten.

Das große Werk ist vollbracht: Referat über L.R. in Dialogform.
Verfasserin und Darstellungsmethode haben großes Echo gefunden, vor allem natürlich bei der Generation 60+. Als sehr unterhaltsam wurde der kurzschrittige, z.T. improvisierte Dialog zwischen uns (Karin und Wolfgang) empfunden. Auch einige kleinere PC-Pannen bei der Bildvorführung kamen gut an; etliche Besucher konnten sich mit der Situation identifizieren. Im übtrigen hat sich bestätigt, was kürzlich in der Süddeutschen von einem emeritierten Literaturprofessor zu lesen war: Die Leute interessieren sich mehr für die Lebensverhältnisse von Schriftstellern und Dichtern als für deren erzählende fiktionale Hervorbringungen; sie wollen eben die reality show wie im Fernsehen. Welche Folgen sich daraus für die strukturale Interpretation von narrativer Literatur ergeben,lässt sich nur ahnen: Aufmerksamkeit für die Entstehung von Werken,neben der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte.

Unser neues Projekt: religiöses Weltethos nach Hans Küng, wird sich auch um die bewegte und bewegende Biographie Küngs kümmern müssen.

Samstag, 30. Oktober 2010

Kriminalroman heute

Ich überlege, ob nicht eine aktuelle Info über das Genre "Krimi" in TV-und Printmedien Form Interesse fände. Schwerpunkt könnte der neue Trend "Schwedenkrimi" (Mankell, Larsson) sein. Natürlich gibt es online eine Fülle von relevanten Beiträgen, aber man könnte nach den psychozozialen Vorlieben für ein bestimmtes Genre fragen (Leserprofil). Die Rückmeldungen im Net könnten dazu als Material dienen, obwohl sie meist anonym sind.

Wolf Lindner

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Lena Christ- Bayerische Schriftstellerin

Das Lindner-Historikertandem ist wieder da:

Eine Straße in Piding (b. Bad Reichenhall) ist nach Lena Christ benannt - ein eher seltener Vorgang in Bayern.

Wir beide (Karin & Dr. Wolf Lindner) werden am Freitag, 23.10.09 um 19.30 in Piding, Haus der Vereine, Wisbacher Straße, über Lena Christ informieren.

Die Dialektpassagen der Glonner Bauerntochter werde ich (Wolfgang) als Münchner vorlesen, die Literaturgeschichte ist dann Karins Sache.

Wer war Lena Christ?
- ein lediges Bauernmädchen
- eine bayerische Schriftstellerin von Rang
- Freundin Ludwig Thomas

Die Benennung der Straße hat eine kleine Vorgeschichte: Vor einigen Jahrzehnten beantragten wir SPD-Gemeinderäte (3 Stck.), eine Straße im Neubaugebiet nach Oskar-Maria-Graf zu benennen;
er weilte öfters in unserer Gegend. Unser Vorschlag fand keine Mehrheit, aber als Ersatz bzw. zum Trost wurde uns Lena Christ angeboten (Bürgermeister & Heimatpfleger Max Wieser)- und wir stimmten freudig zu.

Donnerstag, 18. Juni 2009

Zeitalter der Nervosität

Ich bastle an einem Referat über das Buch von J. Radkau: "...Zeitalter der Nervosität".

"Nervös" war auch in meiner Kinder- und Jugendzeit (sagen wir: ab 1940) ein vielgebrauchtes Schlüsselwort: "Liebe T., was machen deine Nerven? Haben man dir in Wörishofen geholfen, ich kenne da von Frau H. ein neues Medikament..." usw.

Aktuell ist neuerdings von "Entschleunigung" die Rede, meditatives "Zur-Ruhe-kommen" ist im Gespräch, meinetwegen auch beim Wallfahrten (man "ist dann mal weg").

Da sind sie wieder, die "Nerven": Angst, Hetze, Schlaflosigkeit, Depressionen!

Und wie damals im 19./20. Jahrhundert melden sich "Heiler" zum Dienst am Nächsten. Wie damals handelt es sich bei der Nervosität um ein kommerziell nutzbares Phänomen: Kurtourismus.

Radkau hat kürzlich ein Buch zu diesem Thema rezensiert: Philipp Blom, Der taumelnde Kontinent. Er findet dort eine "Zusammenschau von Politik und Wirtschaft, Technik und Kultur, Sex und Neurosen".

Apropos "Sex": Ursache der allgem. Nervenschwäche ist nach Blom
"Angst um die Männlichkeit". Sollte sie durch emanzipatorische Tendenzen scheinbar bedroht sein?

Ich möchte die Leser meines Blogs am Entstehen meines Vortrags teilnehmen lassen - er soll im September beim "Literarischen Abend" der evang. Bücherei Bad Reichenhall über die Bühne gehen

Der Vortrag hat inzwischen längst stattgefunden. Im Anschluss daran gab es eine aufgeregt-lebendige Debatte zu Thesen Radkaus
(Kurstadt).

Freitag, 16. Januar 2009

"Der Hallgraf" - ein Historienschinken mit Heimatgefühl

"Der Hallgraf", ein Ritter- und Heimatschinken der Autorin Anni Jungmann-Wilhelmi - ab 1955 regionaler Bestseller - aktuell als heimatgeschichtliche Quelle genutzt, zu Unrecht:

Der triviale Historienroman strotzt von Geschichtsklitterungen aller Art: dies betrifft die äußere Handlung um den "Hallgrafen" von Plain, den es so nie gegeben hat, aber auch die völlig unmittelalterlichen Lebensumstände.

Z.B. wird die spätgotische Madonna von Großgmain (um 1400) ins späte 11. Jh. zurückversetzt, also als hochromanisch bezeichnet.

Die Verfasserin sieht sich als Seherin - sie beansprucht eine Rolle als Vermittlerin historischen Wissens - allzu viele Leser glauben ihr dies.

In meinem Vortrag (hier herunterladen) werden historische Fakten mit dem Roman konfrontiert - auch kritische Anmerkungen zur sprachlichen Gestaltung (Stilblüten) habe ich beigefügt.

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